Günther Jäger

Honighimmel

Günther Jäger, 2019, Kunst und Kirche


Aneinandergereihten Perlen gleich fließt Honig an einem kaum wahrnehmbaren Faden aus der Kuppel der Kirche wie aus der Unendlichkeit kommend Richtung Erde und wird dort in einer goldenen Schale aufgefangen. – Viele der von Sonja Meller entwickelten künstlerischen Arbeiten zeichnen sich durch eine schlichte, einfühlsame und assoziative Ästhetik aus. Sie rühren das Innere an und berühren die Sinne. Sie lenken die Aufmerksamkeit auf Unbeachtetes und offenbaren, was vielleicht erahnt wurde, bisher jedoch nicht erschlossen war. So erschafft die Künstlerin mit ihren Installationen und Interventionen immer wieder Mikrokosmen mannigfaltiger, sinnlicher Eindrücke und Erfahrungen.


Honighimmel wurde von Sonja Meller im Jahr 2015 zum Thema Advent konzipiert und sollte die Zeit des Wartens auf Weihnachten visuell darstellen, Erwartung und Ankommen symbolisch zum Ausdruck bringen. Im Juni 2019 wurde die Arbeit in der Kollegienkirche in Salzburg realisiert. Durch die vertikale Achse der Installation schienen sich Himmel und Erde zu berühren. Nicht nur der süße Duft, sondern auch die flüssigem Gold gleichenden Honigperlen gaben Anlass für mannigfaltige Interpretationen und machten den Honighimmel zu einer Erfahrung jenseits des Alltäglichen. Durch das langsame Herabfließen des Honigs wurde der Verlauf von Zeit sichtbar. Tropfen für Tropfen sammelte er sich in einer großen blattvergoldeten Schale, deren Durchmesser jenem der in über 50 Meter Höhe befindlichen Laterne entsprach. Auf der Suche nach einem geeigneten Raum für die Umsetzung der Installation bot sich die von Johann Bernhard Fischer von Erlach (1656–1723) erbaute Kirche als idealer Ort an. Durch die Wirkung des schlichten barocken Innenraums, der Strenge und klare Geistigkeit ausstrahlt und in dem überall das Motiv des Aufstiegs betont wird, bildete der aus der großen, turmartigen Höhe der Kuppel herabfließende Honig einen Kontrapunkt. Die ganz in weiß gehaltene Kollegienkirche, der mächtige Tempel der göttlichen Weisheit, barg und schützte den Süße verströmenden Honigfaden, der die himmlische Sphäre mit dem Irdischen verband.


In den heiligen Schriften vieler Religionen, sowie in den Werken vieler Schriftstellerinnen und Schriftsteller spielt der Honig eine wichtige Rolle. Immer wieder bestaunt und besungen wird er als erotisches Sinnbild für die Freuden irdischer Liebe gepriesen und als Symbol für die Süße göttlicher Wahrheit angesehen. Honig führt direkt in die Sphäre des Göttlichen. In den Sprüchen Salomos, Teil der biblischen Weisheitsliteratur, wird dem Menschen empfohlen, Honig zu essen. Denn wie dieser gut und für den Gaumen süß ist, ist die göttliche Weisheit gut für das Leben. Wenn man sie erwirbt, kann man hoffnungsvoll in die Zukunft blicken.1 Und der spanische Lyriker Federico Garcia Lorca (1898–1936) schreibt in seinem Gesang vom Honig: „Der Honig ist Christuswort. Das geschmolzene Gold seiner Liebe. [...] Der Honig ist das Epos der Liebe, Stofflichkeit des Unendlichen.“


Die Faszination, die der Honig auf den Menschen ausübt, ist eng mit der Biene verbunden. Ihre Gabe, aus Blütennektar und Honigtau das süße, gesundheitsfördernde Heil- und Nahrungsmittel Honig herzustellen, sowie ihre hochdifferenzierten sensorischen und kognitiven Fähigkeiten waren den Menschen sehr früh Anlass zu tiefer Verehrung der Biene. Es lag nahe, einen göttlichen Ursprung des Insekts anzunehmen. So beschreibt etwa ein Mythos im alten Ägypten, die Bienen seien aus den zur Erde fallenden Tränen des Sonnengottes Re entstanden. Sie wurden zu Helferinnen des Weltenschöpfers, indem sie durch ihre Bestäubungstätigkeit die Erschaffung der Welt vervollständigten. So ist es kein Wunder, dass der Honig das exklusive Privileg der Götter und Pharaonen war. Er wurde sowohl zu religiösen Festen als auch als Opfer für die Götter eingesetzt.


Der Honighimmel in der Kollegienkirche lädt zum Schauen und Staunen ein. Er versinnbildlicht die Erhörung einer durch die gesamte Menschheitsgeschichte hindurch immer wieder an den Himmel gerichteten Bitte: „Öffne dich Himmel! Sende Rettung auf die Erde herab wie Regen.“ Die Installation lässt den Menschen durch den herabfließenden Honig den süßen und nährenden Überfluss des Himmels erfahren. Gleichzeitig steht Sonja Meller mit ihrer Arbeit in einer Tradition von Künstlerinnen und Künstlern, für die Honig ein wichtiges Medium des Ausdrucks und der Reflexion war. Einer, der hier zu erwähnen ist, ist Joseph Beuys (1921–1986). Wie kein anderer hat er die Möglichkeiten der Gegenwartskunst beeinflusst. Honig war für ihn zweifelsohne eine lebendige Substanz. So war sein Kopf während der Performance Wie man dem toten Hasen die Bilder erklärt (1965) mit Honig, Blattgold und Goldstaub bedeckt. Ebenso bekannt wurde seine auf der Documenta 6 in Kassel präsentierte Honigpumpe am Arbeitsplatz (1977). Es handelte sich dabei um ein Schlauchsystem, das ähnlich einem Blutkreislauf flüssigen Honig durch die Räumlichkeiten des Fridericianums pumpte.


Dort, wo die allgemeine Sprache verstummt, beginnt das künstlerische Werk zu sprechen. Kunst ist Ausdruck. Das Werk ergreift das ‚Absolute‘ und bringt es herein in die Sphäre menschlicher Erfahrung und Erkenntnis. Das Kunstwerk spricht aus, was die alltägliche menschliche Wahrnehmung nicht zu erfassen vermag. Nach diesem ‚Dogma der Kunst‘ ist der Honig in Sonja Mellers Honighimmel nicht einfach Honig oder ein rein ästhetischer Genuss. Er wandelt sich in ‚Himmelshonig‘, in Erfahrung des Göttlichen, in Wissen vom Absoluten. Die Süße und der Duft dieses Himmelshonigs locken eine große Schar Engel hervor. Sie bevölkert die Wolkenglorie der von riesigen Säulen flankierten Apsis der Kollegienkirche und bezeugt die Transformation. 


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