Irene Judmayer

Paradiesische Zustände in der Kirche

Irene Judmayer, 1999, Oberösterreichische Nachrichten


Fruchtige Süße löst beim Öffnen der Kirchentür frostrein klirrende Spätnachmittagskälte ab. Glänzend Rotbackiges Mark „Gloster“ legt eine fiktive Ebene mitten durch das langgestreckte Schiff der Linzer Martinskirche. An hauchdünnen Fäden in Augenhöhe fixiert.


Mehr als dreihundert Äpfel hat Sonja Meller für ihre Installation in diesem archaischen Raum verwendet: „Vor zwei Jahren hatte ich die Idee dazu. Mein Hauptaspekt ist die sinnliche Erfahrung. Mich interessiert es einfach, wie durch künstlerische Eingriffe Wirkung und Faszination von Räumen verändert werden können.“ – So die an der Linzer Kunst-Uni Bildhauerei studierende Künstlerin zu den OÖN. Meller nennt ihren persönlichen Eingriff: „Diese Süße, dich sich erst verdichtet.“


Assoziationen stellen sich bei der klaren Kombination dieser unglaublich frisch duftenden Äpfel als Symbol für Fruchtbarkeit, Leben, Tod, Verführung und der heuer 1200 Jahre alten Kirche ganz von selber ein. Ob die „paradiesischen“ Zustände der Kirche heute, ob der Purismus des Aufeinandertreffens von kargem Stein auf Lebenspralles, von zölibatärer Zurückhaltung auf eine sinnliche Symbolflut von Ursünden – dem Anreiz des hier so unmittelbar Präsentierten kann sich wohl keiner entziehen. Zynismen haben im Reigen dieser Gedankenflüsse ebenso Platz wie das reine Erleben.


Ein besonderes Faszinosum können auch Menschen meiner Körpergröße (um die 1,80) erleben, wenn sie das gitterartig angelegte, fruchtige Labyrinth rasch durchschreiten: Angesichts dieser duftenden Live-Konfrontation mit frontal entgegenschwebenden Objekten verblasst jeder Trip durch digitale Virtual Reality (etwa im Cave) zu dem, was er ist: einer bloßen Fiktion von Realität.


Noch erlag keine(r) der Versuchung. Noch biss keine(r) in einen der Äpfel. Ob gesetzeskonforme Abstinenz tatsächlich stärker ist als Lust und Versuchung? Das wird sich weisen. In der Ausstellung und im Katholizismus. Geöffnet bis morgen jeweils 12-18 Uhr. Morgen, 16 Uhr, referiert Dr. Thomas Macho zur Finissage über den Apfel.


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