Thomas Macho

Diese Süße, die sich erst verdichtet

Thomas Macho, 1999, Kunstforum


Der naheliegendste Apfel in einer Kirche ist der Apfel, der angeblich – zumindest sind sich da die Maler seit vielen Jahrhunderten darin einig – auf dem Baum des Paradieses gewachsen sein soll. Bezeichnenderweise nicht auf dem Baum des Lebens, sondern auf dem Baum des Wissens. Auf dem Baum des Wissens, auf dem Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen ist der Apfel gewachsen, wie ihn Eva auf Anraten der Schlange ihrem Adam zu Genusse reichte. Man muß dazu sagen, daß die Entscheidung für den Apfel spät gefallen ist, nicht von Anfang an. In Bezug auf die alten Traditionen gibt es allerlei Spekulationen darüber, was das wirklich für ein Baum gewesen sein soll, der im Paradies stand. Und dass es ein Apfelbaum gewesen sein soll, ist erst einer späteren, sozusagen ikonischen Tradition vorbehalten gewesen.


Wissen Sie, was die ersten Entscheidungen jetzt baumtypologisch in Bezug auf die Paradieses-Erzählungen waren? Eine der frühesten Entscheidungen war, es muß ein Feigenbaum gewesen sein. Das stimmt mit der Region zusammen. Es stimmt auch mit der Symbolik zusammen: bekanntlich haben sich Adam und Eva kurz nach dem Genuss der Früchte erkannt, wie das in der Bibel so schön heißt. Es stimmt aber auch damit zusammen, wie früh die Kommentatoren festgestellt haben, daß Adam und Eva einander mit Feigenblättern Schurze geflochten haben, und woher hätten sie denn die Feigenblätter nehmen sollen, wenn nicht von einem Feigenbaum.


Gelegentlich hat man auch darüber gesprochen, es könnte ein Zitrusbaum gewesen sein. An den Stellen des Genesiskommentars, an denen der Paradiesbaum vielleicht ein Weinstock, ein vergrößerter Weinstock gewesen sein soll. Das würde erklären, wie man so schnell auch berauscht werden hätte können vom Genuss dieser Früchte. Eine andere Erzählung berichtet dagegen davon, dass der Paradiesbaum nichts anderes gewesen sei, als das, was er dann als Strafe über die Stammeltern bewirkt hat, nämlich eine vergrößerte Getreideehre, sozusagen ein Sproß der Tätigkeit, die Adam ja zur Strafe für den Genuss von dem Baum ausüben mußte. Der Apfel ist ein Symbol des Genusses, ein Symbol der Verführung, ein Symbol aber dann eben auch der Strafe, die dem Genuss folgt und dazu führte, dass Eva und Adam sich mit der lästigen Pflicht des Ackerbaus und der Zeugung von Nachkommen beschäftigen mußten.


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