Sarah Jonas

Eine Stimme verschwebenden Schweigens
Sarah Jonas, 2023, Kunst und Kirche


Sonja Mellers raumspezifische Installation in den Karmelitenkirchen Wien und Linz.

Anlässlich des 400-jährigen Bestehens des Karmelitenordens in Österreich wurde die Künstlerin Sonja Meller eingeladen, eine künstlerische Arbeit zu realisieren. Mit ihrer Installation „An die ewige Schönheit“ schuf sie ein Sinnbild für Spiritualität in der für Meller typischen poetischen Bildsprache. Wer in die Seitenkapelle der Kloster- und Wallfahrtskirche zur Hl. Familie in Wien tritt, erblickt ein goldenes Geflecht aus feinem Messingdraht. Die an zwei Zylindern von der Decke abgehängte Installation fügt sich subtil in die von Johannes Mur angefertigte Dekorationsmalerei innerhalb der im neuromanischen Stil erbauten Kirche ein. Bei näherer Betrachtung erweisen sich die sich überlagernden Messingdrähte als fein geschwungene Buchstaben, aus deren Aneinanderreihung Worte und Sätze entstehen.

Ausgangspunkt für das Werk waren lyrische Texte zweier bedeutender Karmelitinnen, in deren Mittelpunkt der Versuch steht, das spirituelle Erleben des Göttlichen in Worte zu fassen. Ein im spanischen Original wiedergegebenes Gedicht der Mystikerin und Heiligen Teresa von Ávila überlagert sich mit einem Zitat der im 20. Jahrhundert lebenden Karmelitin Edith Stein. Dadurch spannt sich ein Bogen von den Anfängen bis in die Gegenwart des Ordens. In seiner formalen Gestaltung erinnert das Werk an Schriftrollen, die Schicht für Schicht von den verschiedenen Aspekten der Gotteserfahrung berichten.

Der Versuch einer Übersetzung der innerlichen Erfahrung des Göttlichen ist ein Thema, das die Kirche seit jeher beschäftigt. Er findet sich in der gotischen Kirchenarchitektur, steht im Mittelpunkt vieler kirchlicher Musikstücke und auch in den Texten von Teresa von Ávila und Edith Stein. Sonja Meller nimmt dieses Thema für ihr Werk auf, um sich mit Hilfe der bildenden Kunst an diese individuelle spirituelle Erfahrung visuell heranzutasten.

Das geschriebene Wort dient Meller dabei als künstlerisches Material. Das sinnhafte Erfassen der jeweiligen Textpassagen ist zwar möglich, jedoch keine zentrale Intention der Künstlerin. Vielmehr geht es um den sinnlich-visuellen Moment der einzelnen Schriftzeichen, die durch ihre Verdichtung und Überlagerung Parallelen zu der vielschichtigen Art und Weise herstellen, wie Spiritualität erfahren werden kann.

Die Verwendung von Gold als Symbol für das Göttliche hat in der Kunstgeschichte eine lange Tradition und wird im Werk durch die Farbe des Messings aufgegriffen. In einem konzentrierten Schaffensprozess formte Meller den feinen Draht zu einzelnen Buchstaben. Der geschwungene Schrifttyp, den sie dafür wählte, erinnert an Handschriften und betont wiederum die zutiefst persönliche und individuelle Komponente der ausgewählten Texte. Für die Beschreibung ihrer künstlerischen Installation verweist die Künstlerin auf den Religionsphilosophen Martin Buber, der in poetischer Weise eine im Buch der Könige beschriebene Gotteserfahrung des Propheten Elia als „eine Stimme verschwebenden Schweigens“ übersetzt (Erstes Buch der Könige 19, 12). Dieser scheinbar unauflösbare Gegensatz zwischen dem, was gesagt, und dem, was nur erlebt werden kann, findet sich auf feinfühlige Weise in der Installation von Sonja Meller wieder. Das flirrende Changieren von konkretem Wort und Abstraktion eröffnet Denkräume, die als produktive Leerstellen die Betrachtenden herausfordern.

Sonja Meller realisierte zahlreiche künstlerische Projekte im In- und Ausland, darunter Installationen, ortsbezogene Interventionen, Kunst im öffentlichen Raum sowie Zeichnungen, Objekte und Arbeiten mit Schwerpunkt Klangkunst. Sie wurde 1971 in Salzburg geboren und studierte bildende Kunst an der Kunstuniversität Linz und New Genres am San Francisco Art Institute. Die Installation „An die ewige Schönheit“ war im Sommer in der Karmelitenkirche Wien zu sehen. Von 30. September bis einschließlich 4. November ist sie in der Krypta der Karmelitenkirche in Linz an der Donau zu besichtigen.

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